Mittwoch, 28. März 2012

Thekentänzer (53)

Herbert hat Durst

"Ich bin erst 26, aber meine Eltern haben mich Herbert getauft. Kannst du dir das vorstellen?"
Der Junge hebt den rechten Arm und schmeißt ihn gestikulierend durch die Luft.
"Herbert", ruft er in Richtung Kneipendecke, hinter der er, irgendwo über den Wolken, wohl einen bösen Urpaten vermutet. Leider hat er sich den Hocker rechts in der Nische ausgesucht, sitzt also direkt neben mir.
"Ich heiße Bernd", sage ich beschwichtigend, "da trägt man auch dran."
Aber Herbert kippt den Wodka, knallt das Glas auf den Tresen und sagt: "Noch einen."
Am rechten Hochtisch sitzt eine einzelne Frau, die wartet bestimmt auf ihren Macker. Wie sie aussieht – weiße Bluse, lila Handtasche, Brille mit Halskette – ist der Typ entweder Stenz oder BWLer. Keine Hilfe zu erwarten von denen.
"Kein normaler Mensch nannte sein Kind 1986 Herbert. Nur meine verstrahlten Eltern. Zwischen 1910 und ´30, ich hab das mal nachgesehen, da war ich richtig beliebt. Da lag Herbert an 11. Stelle im Schnitt. Direkt hinter Horst und Helmut. Und vor Ernst und Rudolf."
Herbert trinkt sein Glas aus: "Noch vor Rudolf, überleg mal!"
Draußen jagt der Wind über die Straßen, fegt den Dreck an die Bordsteine und zwei weitere Trinker in den Raum. Der eine ist Koch, den kenne ich. Aber ein Blick genügt, um zu realisieren, dass der heute keine Frikadelle mehr knetet. "N´ag", gurgelt er zur Begrüßung, "ma´a zw Glsch." Dann schlägt er seinem Kumpel auf den Rücken und fängt an zu husten.
"Wo du so nett fragst, Barmann: Herbert kommt von ´Heer´. Und der scheißheilige Heribert war ein verdammter Kölner Erzbischof. Der konnte Regen machen und alles, der hat sich um jede Dürrekatastrophe gekümmert. Und wenn du´s genau wissen willst: Ich will auch son heiliger Heribert sein."
Der betrunkene Koch horcht auf: "Du heißt Herbert, du hässliche Pocke?"
"Heer", schreit Herbert zurück, "wie ´hehr´. Eine ´hehre´ Absicht und so, verstehst du? Kölner?"
Das letzte Wort spuckt mehr, als er es spricht. Eine junge Frau steckt den Kopf zur Tür herein, sieht Herbert, sieht den Koch und will wieder gehen. Dann entdeckt sie ihre Freundin mit der weißen Bluse und lächelt gequält. Sie bleibt in der Tür stehen, während die BWLerin ihre Rechnung verlangt. "Stimmt so", sagt sie und legt statt der verlangten 1,40 zehn Cent mehr auf die Theke.
"Herbert von Karajan", ruft Herbert triumphierend. Er sticht mit einem imaginären Dirigentenstab in die Rauchschwaden und wirft den Kopf hin und her: "Herbert Wehner. Mach mir noch sonen scheiß Wodka, Barmann."
Der Freund des Kochs ist auf der Theke eingeschlafen. "Herbert Neumann kenn ich", murmelt der nun völlig entkräftete Küchenchef. Bald darauf legt er sich zu seinem trostlosen Freund.
Der Zeiger schwenkt auf Mitternacht, als Herbert zum finalen Schlag ausholt:
"So, und jetzt gibst du mir gefälligst einen aus, du kölscher Katholik."
Ich blicke ihn auf eine Art an, die er für überrascht halten mag. Und Herbert fährt fort: "Seit einer halben Minute haben wir den 16. März, mein Lieber. Und du wirst mich ja wohl jetzt nicht fragen, wessen Namenstag das ist."

Manchmal ist das Leben still


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