Mittwoch, 29. Januar 2014

Interviews (22)

Heute: Der Krebsforscher Andreas Engert

Prof. Dr. Andreas Engert wurde 1959 in Braunschweig geboren. Nach der Promotion 1985 in Hannover kam er an die Kölner Uni-Klinik, wohin er nach einem mehrjährigen England-Aufenthalt 1991 zurückkehrte. Nach der Habilitation 1995 stieg er zum Oberarzt auf. Heutzutage lehrt Andreas Engert als Professor an der Medizinischen Fakultät der Kölner Universität und arbeitet zudem als Leitender Oberarzt an der Uni-Klinik. Seit 2007 fungiert er als Vorsitzender der Deutschen Hodgkin Studiengruppe, Teil einer internationalen Krebsforschungsorganisation. Für seine Arbeiten erhielt er diverse Titel und Preise, zuletzt 2013 den mit 25.000 Euro dotierten Berliner Paul-Martini-Preis.
Mit seiner Frau hat er vier Kinder, die Familie wohnt in Lindenthal.

Niemand geht gerne zum Arzt, schon gar nicht, wenn der ein Spezialgebiet wie das von Andreas Engert beackert. Andererseits versprechen diese Mediziner Heilung. Ein Zwiespalt, dessen sich der bekannte Krebsforscher wohl bewusst ist.

Sie haben zuletzt den mit 25.000 Euro dotierten Paul-Martini-Preis gewonnen. Haben Sie das Geld schon ausgegeben?

(lacht) Nein, das habe ich auf die Bank gelegt.

Nichtmal einen schönen neuen Kittel davon gekauft?

Unsere Kittel bekommen wir von der Uni-Klinik.

Können Sie einem Germanisten wie mir in wenigen Sätzen erklären, wofür Sie diesen Preis bekommen haben?

Der ist für eine neue Gruppe von Medikamenten verliehen worden, die zielgerichtet Tumorzellen angreifen. Wie ein biologisches Cruise Missile sozusagen. Ein Teil des Moleküls spürt die Tumorzelle auf und bindet sie, um danach das zerstörerische Gift auf sie loszulassen.

Recherchiert man Ihnen hinterher, stößt man immer wieder auf das Kompositum Hodgkin Lymphom. Ist das die Tumorzelle?

So nennt man die Erkrankung, den Lymphdrüsen-Krebs. Meistens beginnt es mit einem wachsenden Knoten am Hals, der - im Gegensatz etwa zu einer Viruserkrankung - meistens gar nicht wehtut. Aber von den Lymphdrüsen greift diese Erkrankung über auf weitere Organe wie die Milz, Leber oder Lunge. Vor 50 Jahren ist daran noch jeder Patient gestorben, heutzutage werden 80 % geheilt.

Zwischen Vergangenheit und Zukunft liegt der Fortschritt. Manchmal ist es auch nur ein Fortschreiten.

Ich zitiere mal gerade aus meinen Notizen: „monoklonale Antikörper, Radioimmunkonjugate, ´intelligente´ Immunoliganden und natürliche Killerzellen“ - Ihr Job klingt nach einem Science-Fiction-Thriller.

Ein bisschen ist das auch so. Bei der herkömmlichen Chemotherapie gehen die Krebszellen zwar schneller kaputt als gesunde, aber leider werden auch gesunde Zellen abgetötet. Was wir hingegen versuchen, ist gezielt nur die bösartigen Zellen zu eliminieren.

Wie hat man sich das vorzustellen?

Paul Ehrlich hat schon vor über 100 Jahren von solchen „Zauberkugeln“ gesprochen, obwohl Antikörper damals noch nicht bekannt waren. Erst seit den 1970ern kann man die in größeren Mengen herstellen. Stellen Sie sich so einen Antikörper wie ein Ypsilon vor, an den wir noch etwas dranbasteln, das die Krebszelle zerstört.

Wie gesagt: ein Medizin-Thriller.

Da gibt es sogar einen historischen Hintergrund, den Londoner Regenschirmmord von 1978. Der bulgarische Geheimdienst hatte ein sehr starkes Gift namens Rizin extrahiert und dieses mittels einer präparierten Regenschirmspitze einem Dissidenten in den Oberschenkel injiziert. Der Mann hat das kaum gemerkt, aber er starb wenige Tage später daran. Genau dieses Gift koppelte man dann später an die Antikörper, um Krebszellen zu vernichten.

Sie haben schon in den 1980ern begonnen, sich mit Krebsforschung zu befassen. Kann so etwas ein Jugendtraum sein?

Ich habe schon als Medizinstudent damit angefangen, das stimmt. Von meiner Doktorarbeit zu dem angesprochenen Preis führt imgrunde eine direkte Linie.

Haben Sie als Kind schon Ihren Teddybär auseinandergenommen, um zu sehen, was in ihm steckt?

Nein, und ich wusste auch mit 14 Jahren noch nicht, dass ich Arzt werden wollte. Das kam erst ein paar Jahre später.

Sie sind 1986 erstmals nach Köln gekommen. Wegen der tollen Uni-Klinik, oder weil die Bläck Fööss besser als die hannoveranischen Scorpions sind?

(lacht) Mein Doktorvater bekam eine Stelle hier, das war der Grund. Nach den ersten Kulturschocks hat mir die Stadt dann auch sehr zugesagt.

Kulturschocks?

Na, zum Beispiel setzte sich bei meiner ersten Straßenbahnfahrt eine junge Frau neben mich und sprach mich auch noch gleich an. Das war ich aus Niedersachsen nun gar nicht gewohnt.

Nach mittlerweile fast drei Jahrzehnten hier: Ist Köln eine ungesunde Stadt?

Nein, im Gegenteil. Dieses Lebendige und Abwechslungsreiche finde ich anregend - das gibt es anderswo in Deutschland nicht so. Da übersieht man auch gern mal etwas mehr Dreck auf der Straße.

Warum ist diese Krankheit Krebs eigentlich nach so einem harmlosen Krustentierchen benannt?

Oh, gute Frage. Ich glaube, das kommt aus dem Griechischen.

Und das stimmt, wie einschlägige Online-Lexika bestätigen: Schon im Altgriechischen bezeichnete „Krebs“ sowohl das Tier als auch die Krankheit. Manche Tumore hatten die antiken Mediziner von ihrer Form her an Krebse erinnert.

Was ist das überhaupt: Krebs?

Das ist zunächst einmal ein umgangssprachlicher Sammelbegriff für maligne Erkrankungen. In deren Rahmen treten bösartig entartete Zellen auf, die sich nicht an die Spielregeln des Körpers halten. Die also zum Beispiel ohne Rücksicht auf Verluste immer weiter wachsen und andere Organe infiltrieren.

Ist Krebs „Das Böse“ für den menschlichen Körper?

Kann man so sagen, Krebszellen fressen den Körper quasi von innen her auf.

Und sind sie selber giftig? Oder anders gefragt: Könnte man ein Krebsgeschwulst essen?

Ein kulinarischer Genuss wäre das sicher nicht. Aber tatsächlich könnte eine zweite Person diese Zellen bedenkenlos vertilgen. Krebszellen sind nur ein Problem für den primären Organismus, Ihr Körper würde diese fremden Zellen einfach abtöten. Denn Krebs ist weder giftig noch ansteckend.

Hatten auch Steinzeitmenschen schon Krebs?

Man weiß das nicht genau. An Krebs erkrankt man zumeist im Alter, und unsere Vorfahren wurden nicht besonders alt. Aber Blutkrebs zum Beispiel, der auch Jüngere trifft, wird es damals wohl auch schon gegeben haben.

Also ist Krebs keine reine Zivilisationskrankheit?

Nein, wobei Umwelteinflüsse auch ihre Rolle spielen. Wer viel raucht, wer bei einer Lackiererei oder in einem radioaktiven Umfeld arbeitet, ist gefährdeter als andere.

Was tun Sie als international renommierter Fachmann, um nicht Krebs zu bekommen?

(seufzt) Ich habe früh mit dem Rauchen aufgehört. Ich trinke nicht übermäßig viel Alkohol, spare mir fettiges Essen und versuche, möglichst viel Sport zu treiben. Schon zügiges Spazieren stärkt die Abwehrkräfte, Sport ist die beste Stimulanz für das Immunsystem.

In welchem Verhältnis stehen bei Ihnen medizinische Praxis, Lehre und Forschung?

Während rund 20 % meiner Arbeitszeit halte ich Vorlesungen und unterrichte an der Medizinischen Fakultät. 40 % widme ich der Forschung, 30 % der ärztlichen Tätigkeit. Bleiben 10 % für Verwaltungsaufgaben.

Und wo bleibt die Freizeit?

Mein Hobby ist die Familie, das kann man so sagen. Meine Frau ist Künstlerin, wir haben vier Kinder und diverse Katzen, Hunde und Meerschweinchen. Beruflich reise ich natürlich außerdem recht viel, zu Kongressen etwa.

Mit dem Maserati zum Golfplatz fahren Sie nicht?

(lacht) Nein. Ich denke, das ist ein Klischee, das nicht zutrifft.

Das mag Vergangenheit sein, ja. Und um in die Zukunft zu schwenken: Wohin wird Ihre Forschungsarbeit in 10, 50, 100 Jahren führen?

Ich glaube, in 50 Jahren wird es Tabletten geben, mit denen man viele Krebserkrankungen relativ problemlos behandeln kann. Es werden nicht einmal mehr Infusionen nötig sein. Nimmt man sämtliche verschiedenen Krebserkrankungen, so werden in 50 Jahren nicht mehr nur rund 20 % wie heutzutage geheilt, sondern sicherlich deutlich über die Hälfte.

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