Mittwoch, 22. April 2009

Straßenkämpfer (5)

Klein, dick, Brille

In den Osterferien führe ich eine Grundschulklasse durch einen Kölner Park. Und da ist dieser kleine, dicke, bebrillte Junge, mit dem in der Pause niemand spielen will. Also schnappe ich mir einen Fußball und gehe mit ihm kicken.
„Ich kann auch ein paar super Tricks“, sagt der Junge. In Wirklichkeit ist er gnadenlos untalentiert. Vorhin, als ein kleiner Waldhügel überklettert werden musste, habe ich ihn bei der Hand genommen. Hoch war er gekommen, aber der Abstieg machte ihm Angst. Hinzu kam, dass er ein Paar grüne Plastikschlappen an den Füßen trägt.
„Die hat mir meine Mami geschenkt“, sagt er.
Ich lasse ihn seine Tricks üben und setze mich ein bisschen zu der begleitenden Erzieherin.
„Woran“, fragt sie mich, „erkennt man die Kinder aus dem Neubaugebiet?“ Und gibt die Antwort gleich selbst: „Das sind die mit den bunten Kleidern, die die Blümchen sammeln.“
Das sind auch die mit den in Streifen geschnittenen Möhren zum Dinkelbrot, während der kleine Dicke in seiner Tupperdose nur eines hat: Schokowaffeln.
„Mein Papi hat eine neue Frau“, erzählt er. „Und dass er nie wiederkommt, hat er gesagt, hat die Mami gesagt.“
Wir wechseln vom Fuß- zum Federball. „Entscheide dich doch mal, ob du mit links oder rechts schlagen willst“, sage ich, nachdem ich den hundertsten Ball aufgehoben habe.
„Ich weiß aber nicht ...“, sagt er.
„Mit welcher Hand schreibst du denn?“
Der Junge betrachtet seine Hände. „Das fällt mir gerade nicht ein“, sagt er.
Als wir zu dem kleinen Waldstück kommen, hebe ich eine Buchecker auf. „Weiß jemand, was das ist?“, frage ich.
„Das sind diese Dinger aus den Tüten von Weihnachten, wo man die Schale aufbrechen muss“, sagt der Junge.
„Der meint Pistazien“, erklärt eines der Neubaugebietsmädchen kichernd.
Der Federball ist futsch, der Junge sagt, er habe ihn aus Versehen ins Gebüsch geschlagen. Wir suchen eine Weile zwischen den Brennnsesseln herum, erfolglos.
„Eines unserer Kinder ist an Kleptomanie erkrankt“, erzählt die Erzieherin. Welches, das darf sie nicht sagen.



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